Nudes, Artificial stamen in silicon
Herbert Schnepf
Herbert Schnepf
(*1979 in der Steiermark/Ö, lebt und arbeitet in Wien) studierte Theater- und Filmwissenschaft/ Kunstsoziologie in Wien und Paris/ Nanterre. Anschließend Assistenz und Öffentlichkeitsarbeit für Filmfestivals, Filmproduktionen, Galerien und Künstler*innen; daneben im Sozialbereich u.a. als Trainer für Deutsch als Fremdsprache in Strafanstalten und Kunstakademien und in der Flüchtlingsbetreuung tätig. Arbeitet derzeit im Projektmanagement einer sozialen NGO und absolviert eine Ausbildung zum Psychotherapeuten.
EN
Male nudes
Ilse Haider’s works are located at the interface of photography and object; in male nudes she “reproduces” several master images by placing artificial stamen in silicone. She formulates her erotically charged female gaze at the male bodies in a finely detailed, “female” technique. The unusual perspective of the reclining man intensifies the sculptural effect and simultaneously drafts an image of masculinity that counters the cliché of the active, invulnerable, and unapproachable hero and his representation in art. With his exposure and passivity, the young man completely becomes an object of the gaze, a status in art history traditionally used for contemplating the female physique.
Male nudes are also a reference to the Austrian artist Anton Kolig (1886–1950), whose male nudes of youths heralded a disintegrating image of the heroic man, which of course was still carried out by a male artist, invariably in relatively engrossed poses. Haider’s nudes embody a much more accessible masculinity; however, here, too, she does not allow too much closeness. When the viewer steps too close to the image, it dissolves into hundreds of tiny objects. The gaze nonetheless remains spellbound: the artificial flower parts, once worked into bouquets by diligent Salzburg florists, disturb with their diffuse, organic, bristly impression.
(translation: Lisa Rosenblatt)
DE
Männliche Akte
Die Arbeiten von Ilse Haider sind an der Schnittstelle von Fotografie und Objekt angesiedelt; in diesem Fall hat sie eine Bildvorlage mittels künstlicher Blütenstaubgefäße in Silikon gesteckt. In weiblich-kleinteiliger Technik formuliert sie etwas durchaus Seltenes: einen erotisch aufgeladenen weiblichen Blick auf den männlichen Körper. Der ungewöhnliche Blickwinkel auf den liegenden Mann verstärkt den plastischen Effekt und entwirft zugleich ein Bild von Männlichkeit, das dem Klischee des aktiv-tätigen, unverwundbaren und unnahbaren Helden und seiner Darstellung in der Kunst widerspricht. In seiner Exponiertheit und Passivität wird der junge Mann vollends zum Blickobjekt, ein Status der traditionellerweise der weiblichen Physis vorbehalten war.
Male nudes sind auch eine Referenz an den österreichischen Künstler Anton Kolig (1886–1950) und seine Aktzeichnungen. Koligs Jünglinge künden bereits von einem sich auflösenden heroischen Männerbild, freilich noch von einem männlichen Künstler ausgeführt und in vergleichsweise entrückten Posen. Haiders nudes vermitteln über ihre spezifische Haptik eine zugänglichere Männlichkeit; ein zuviel an Nähe verbietet sich aber auch hier: Tritt man zu dicht an die Darstellung heran, löst sich das Bild in hunderte kleine Objekte auf. Dennoch bleibt der Blick gebannt. Die künstlichen Blütenteile, einst von fleißigen Salzburger Floristinnen in Blumensträuße eingearbeitet, irritieren auch im Detail durch ihre diffus organische Anmutung.